Veröffentlichungen aus Mosambik von Judith Christner

Der Kampf um Frauenrechte geht weiter
Im Spannungsfeld zwischen Menschenrechten und moralisierenden Tendenzen

Die Öffentlichkeit schaut derzeit mit hohen Erwartungen und bangen Befürchtungen auf die anstehende Revision des Strafrechts (Codigo Penal). (siehe Artikel von Dr. Nkamati auf Seite X). Zur Debatte stehen Bürger- und Menschenrechte, wie beispielsweise die Untersuchungshaft, aber auch Frauenrechte, denen das Strafrecht Rechnung tragen sollte. Das Strafrecht, so sagte kürzlich der Gerichtspräsident von Chimoio, anlässlich einer Veranstaltung zum Tag des Anwalts, ist mehr als die Auflistung von Verbrechen und die dafür vorgesehenen Strafen, es ist vor allem ein Spiegel der Gesellschaft, es zeigt, welche Art von Gesellschaft wir wollen. Ein Blick auf die Artikel, die sich mit Verbrechen gegen Frauen befassen, lässt befürchten, dass Frauen in der mosambikanischen Gesellschaft weiterhin eine untergeordnete Rolle spielen sollen und die Verbrechen gegen sie mit moralisierenden Interpretationen relativiert werden.

Eine breite Bewegung von Frauenorganisationen, denen sich auch die Männerorganisation HOPEM (Homem pela Mudanca) angeschlossen hat, weisen darauf hin, dass es in dem eingebrachten Vorschlag zur Revision des Strafrechts einige nicht zu akzeptierende Inhalte gibt, die neu sind oder andere, die fortbestehen bleiben sollen. Sie beklagen außerdem die nicht erwünschte und nicht zugelassene, aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Erarbeitung konkreter Vorschläge. Bei einer Parlamentsdebatte am 3. August 2012 wurden etliche Organisationen der Zivilgesellschaft, deren Hauptthema die Menschenrechte sind, ausgeschlossen. An die Teilnehmenden erging gleich zu Beginn der Hinweis: „ Bitte keine Fragen stellen, nur methodische Zweifel.“ Da es sich bei dieser Debatte um die einzige Möglichkeit handelte, Einfluss zu nehmen, schlagen die Organisationen vor, weiter an den Gesetzesvorschlägen zu arbeiten, um inhaltliche Verbesserungen zu erwirken und den Entwurf erst dann zur Abstimmung vorzulegen.
 
Das Strafrecht als Spiegel der Gesellschaft
 
Im Blickpunkt des Interesses stehen bei der Frauenbewegung vor allem die sogenannten Verbrechen gegen die Ehrbarkeit, wie Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Minderjährigen. Entsprechende Aufrufe wurden in den letzten Wochen in der Savana veröffentlicht, unterzeichnet von Organisatoren der Zivilgesellschaft, die sich für Rechtsgleichheit im Strafrecht einsetzen.
 
Kapitel 5 im Strafrecht ist überschrieben mit „ Verbrechen gegen die Ehrbarkeit“. Dabei handelt es sich um Verbrechen wie Vergewaltigung, sexuelle Belästigung und Missbrauch von Minderjährigen, deren Opfer in der Mehrheit Frauen und Mädchen sind. Und es wird durch die sprachliche Formulierung vermittelt, dass wer vergewaltigt wird, auch seine Ehrbarkeit verliert. Die vergewaltigte Frau ist somit entehrt. Sprachregelungen und Vorstellungen, die denen des 19. Jahrhunderts entsprechen, als das Strafrecht erarbeitet wurde (1886). Im heutigen mosambikanischen Kontext des 21. Jahrhunderts sei eine solche Formulierung absolut unbegreiflich und unstatthaft, kritisieren die Organisationen.
 
Der Aufruf kommentiert weiter: „Heutzutage stehen bei den sexuellen Verbrechen die körperliche Integrität, die Würde und die sexuelle Freiheit der Frau und der angemessene Schutz von Kindern gegen sexuelle Übergriffe zur Debatte. Was nicht zur Debatte steht, ist das Verhalten der Opfer, denn das liegt außerhalb der Verantwortlichkeit des Staates.“
Ehrbarkeit und Ehre spielen auch in einzelnen Artikeln eine unangemessene Rolle und seien eine Beleidigung für die betroffenen Frauen und Mädchen. Der Vergewaltiger kann der Strafe entgehen, wenn er das Opfer heiratet und diese Ehe mindestens 5 Jahre hält. Somit werden Schutz und Würde des Opfers der „Ehre der Familie“ untergeordnet und das Mädchen oder die Frau einem weiteren aggressiven Akt – der Heirat mit dem Täter - ausgesetzt. Dieser Artikel sei ersatzlos zu streichen, denn er verletzt eklatant die Menschenrechte von Frauen und Mädchen.
 
Ebenso unbegreiflich sei die Regelung im Artikel 402, der sich auf die sexuelle Vergewaltigung von „mulher virgem“ (Jungfrau) zwischen 12 und 16 Jahren bezieht und damit zum einen glauben macht, eine Minderjährige dieses Alters sei eine Frau und zum zweiten seien lediglich diejenigen zu schützen, die bei der Vergewaltigung noch Jungfrau waren, die anderen hingegen nicht. Im Übrigen sei in der von Mosambik unterzeichneten
Konvention der Kinderrechte eindeutig festgelegt, dass bis zum 18. Lebensjahr hier die Definition Kind anzuwenden ist.
 
Frauenorganisationen zwischen Vision und Wirklichkeit

LeMuSiCa ist eine Frauenorganisation, die sich vor allem um Frauen und Kinder kümmert, die Opfer von häuslicher und sexueller Gewalt geworden sind. Darüber hinaus arbeiten wir im Bereich Aids-Prävention und begleiten an Aids erkrankte Kinder, Jugendliche und deren Familien. In den Gemeinden initiieren wir Netzwerke gegenseitiger Hilfe und sensibilisieren deren Mitglieder in den Bereichen Frauenrechte, Gendergerechtigkeit, Kinderrechte und Aids.
 
In der täglichen Arbeit stellen wir immer wieder fest, dass unsere Visionen noch lange nicht mit der Wirklichkeit kompatibel sind. Obgleich sowohl das neue Familienrecht als auch das Gesetz gegen häusliche Gewalt gegen Frauen einen deutlichen Schritt in die gewünschte Richtung darstellen, nämlich Frauenrechte gesetzlich zu verankern und zu schützen, ist deren Umsetzung noch alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Stattdessen erleben wir immer wieder, dass es uns zwar gelingt, Frauen zu ermutigen, aus der Gewaltspirale auszubrechen und ihre Peiniger anzuzeigen – die dann aber, nach einer kurzen „Scheinfestsetzung“, gegen entsprechende Bezahlung und im Sinne altbewährter „Männerkumpanei“ in neuer Weise ihr Unwesen treiben, indem sie ihre Opfer und unsere Sozialarbeiterinnen bedrohen.
 
Wir sind eine Organisation, die beraten, begleiten, nicht jedoch urteilen und verurteilen kann.
Von den entsprechenden Institutionen wünschen wir uns Urteile, in denen die Rechte und die Wünsche von Frauen und Kindern, verankert in der Verfassung, in Gesetzen und vielen internationalen Konventionen sich widerspiegeln, Raum finden, Gewicht haben. Doch bis dahin scheint es noch ein langer Weg zu sein, der mit Steinen und Frustration sowohl für die betroffenen Frauen, als auch für die sie unterstützenden Organisationen gepflastert ist.
 
Gesetz versus Gewohnheitsrecht

In der mosambikanischen Gesellschaft bestehen vielfältige kulturelle Gepflogenheiten nebeneinander, die oft im Widerspruch zum formalen Recht stehen und immer zum Nachteil der Frauen sind. Vor allem im ländlichen Bereich ist die Eheschließung nicht mit dem Aufbau eines unabhängigen, eigenen Leben des jungen Ehepaares verbunden. Der Mann bringt vielmehr seine Partnerin in die eigene Familie, in einen kollektiven Lebenszusammenhang, dessen Basis das Gewohnheitsrecht und die traditionellen Gepflogenheiten sind. Damit begibt sich die Frau in die völlige Abhängigkeit des Ehemannes und dessen Familie und hat keinerlei Rechte, über die gemeinsam erworbenen Güter zu entscheiden oder zu verfügen. Stirbt der Ehemann, bemächtigt sich dessen Familie aller Güter, meist inklusive des gemeinsamen Hauses und schickt die Ehefrau und ihre Kinder mit leeren Händen in ihr Elternhaus zurück.
Stirbt die Frau und der Mann bleibt mit den Kindern zurück, gibt es keinerlei Zweifel oder Ansprüche, die sein Recht auf das gemeinsame Erbe in Frage stellen.
 
Eine Witwe hat im Vergleich mit einem Witwer gegen ein weiteres, sehr verbreitetes Problem zu kämpfen, nämlich gegen dem Vorwurf, sie habe durch spirituelle Kräfte den Tod des Ehemannes herbeigeführt, um sich dann an den Gütern zu bereichern. Ein solcher Vorwurf ist noch nie im umgekehrten Verhältnis laut geworden. Stirbt die Frau, kann der Mann schon wenige Tage später mit einer neuen Frau das gemeinsame Haus bewohnen, während die Frau sich noch Jahre später, wenn sie eine neue Partnerschaft eingegangen ist, gegen Vorwürfe und Verwünschungen wappnen muss.
 
All diese Vorgehensweisen widersprechen eindeutig dem geltenden Familienrecht, doch meist haben die Frauen davon keine Kenntnis. Außerdem gibt es viel zu wenige Organisationen, die sich mit diesem Thema beschäftigen und sich gemeinsam mit den Frauen für deren Rechte einsetzen. Und Organisationen, wie LeMuSiCa, die dies tun, kämpfen gegen diffuse Ängste der betroffenen Frauen, die befürchten, von der Familie des Verstorbenen mit einem Fluch, Krankheit oder gar dem Tod bedroht zu werden, wenn sie um ihr Recht kämpfen.
 
Obgleich die mosambikanische Verfassung festlegt, dass Männer und Frauen die gleichen Rechte haben, kommen die Frauen noch längst nicht in den Genuss dieser Rechte. Viele Frauen verlieren ihr Recht auf Land und Besitz auf Grund kultureller Gepflogenheiten.
 
Joao Trinidade, ehemals Gerichtspräsident in Niassa und zuletzt 'juiz conselheiro' am obersten Gerichtshof, sagt in einem Interview mit der Wochenzeitung Savana: „Die Gleichheit existiert nur auf dem Papier. Sie steht in jenem Heft, in dem die mosambikanische Verfassung niedergeschrieben ist, in der Praxis gibt es sie nicht.“ Und dabei bezieht er sich nicht nur auf Frauenrechte, sondern auch auf die Rechte von Gefangenen oder Tatverdächtigen.
 
Sich Gehör verschaffen

Wie schon oben erwähnt, werden die Wege zur Erlangung von Rechtsgleichheit und Gendergerechtigkeit noch lange und beschwerlich sein und es bedarf vieler Beteiligten mit gutem Willen und ausdauernder Energie, Schritt für Schritt nach Auswegen zu suchen. Eine Möglichkeit, die LeMuSiCa in diesem Zusammenhang wahrnimmt, ist die Sensibilisierung aller Beteiligten, insbesondere auch die der traditionellen Führer, die in den Gemeinden eine tragende Rolle spielen und deren Wort oft mehr Gewicht hat als manches Gesetzbuch. Sie davon zu überzeugen, dass Menschenrechte und somit auch Frauenrechte über traditionellen und kulturellen Gepflogenheiten stehen und dass die in diesem Zusammenhang erlassenen Gesetze rechtsverbindlich sind, ist ein erster Schritt, um nicht gegeneinander sondern miteinander Veränderungen zu erwirken - in den Köpfen und im Handeln.
 
Doch es bedarf auch einer gewissen Strategie der Härte und Klarheit, um sich als Frauenorganisation Gehör zu verschaffen und damit Frauen und Kindern eine Stimme zu geben und ihre Stellung in der Gesellschaft zu stärken. Gegenüber Polizei und Gerichten beziehen wir klare Positionen, überzeugen durch Kenntnis der Gesetzeslage und der Verfahrensweisen und lassen uns nicht einschüchtern – weder von Männern noch von Positionen. Dank der inzwischen bestehenden Gesetze, auf die wir uns berufen, sind wir nun nicht mehr in der Rolle einer etwas exaltierten Frauengruppe die unverständliche Forderungen stellt, wie das vor Jahren, als wir mit unserer Arbeit begonnen haben, noch der Fall war. Heute sind wir durchaus gesellschaftlich anerkannt, jedoch nicht immer beliebt oder erwünscht. Und damit sind wir zu einem Glied in der weltweiten Kette der Frauenbewegung geworden, die diese Erfahrungen mit uns teilen: Die Frustrationen ebenso wie die Erfolge.
 
Judith Christner

März 2014