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LeMuSiCa in Zeiten von Covid19

Am 22. März erreichte mich aus Mosambik, dem Land, in dem ich 16 Jahre zu Hause war, von einer Mitarbeiterin des Frauen- und Kinderprojektes LeMuSiCa in Chimoio folgende Nachricht:

“Heute wurde in Mosambik der erste Covid19 Fall entdeckt. Ich bin sehr besorgt, vor allem wegen meines Gesundheitszustandes – ich bin ja HIV positiv. Ich habe schon angefangen, Lebensmittel zu kaufen und zu Hause in Reserve zu halten. Denn der Präsident hat angeordnet, alle Schulen, Universitäten, Bars, Restaurants, Diskotheken, Kinos, Theater, Parks zu schließen.
Ich hoffe, er wird alle auffordern, zu Hause zu bleiben, denn die Leute wissen nicht, wie sich zu schützen. Geschäfte und Märkte sind übervoll und niemand hat einen Notfallplan. Heute sind die Leute alle in die Kirchen geströmt, obwohl es eine Anordnung gab, nicht zu gehen. Diese Ignoranz der Bevölkerung ist sehr traurig. Ich bin sehr besorgt wegen des Projektes, wegen der Kinder
Wie kann ich ihnen helfen ? “

Als erste, etwas hilflose Antwort habe ich geschrieben, dass sie allen sehr genau die Regeln erklären deren Einhaltung konsequent kontrollieren sollen. Alle MitarbeiterInnen und die Kinder müssen verstehen, wie und warum sie die Hände waschen müssen und wie sie durch Abstand halten die Gefahr einer Infektion verringern können. „ Hängt das Bild mit den Handwaschregeln, das ich Euch geschickt habe , überall im Projekt auf. Aber bleibt ruhig und versucht, die Angst zurückzuhalten.“

Weiter schrieb die Mitarbeiterin: “Judith, hier gibt es keine Handschuhe, keine Masken kein Desinfektionsmittel und viele Produkte des Grundbedarfs fehlen.
Ich glaube es wäre gut, wenn wir alle zu Hause blieben, denn das Virus braucht Überträger, um sich zu verbreiten. Du kennst unser Mosambik, die Chapas sind weiter übervoll, niemand hält sich wirklich an die Sicherheitsregeln. Überall lange Schlangen, die Märkte und Geschäfte übervoll.
Und die Teile der Bevölkerung, die genug Geld haben, kaufen in den Geschäften alles auf und vergessen die, die kein Geld haben, jetzt so viele Dinge auf einmal zu kaufen. Es ist wirklich traurig .
Besorgt bin ich wegen all der Menschen, die HIV positiv sind – für sie ist die Situation besonders gefährlich. Stell Dir nur vor, ich wohne in der Stadt und muss – wie viele andere jeden Tag mit dem Chapa zur Arbeit fahren.. In Chapas, die voll sind mit Menschen, die sich nicht an die Regeln halten, die husten, ohne sich den Mund zu bedecken. Ist das nicht eine besondere Gefahr für mich und für all die, die ich dann bei der Arbeit treffe ?
Der Egoismus wird uns eines Tages töten; jeder schaut nur nach sich selbst und vergisst die anderen .”

In diesen Worten findet sich all das wieder, was ich kurz zuvor gedacht hatte: Was, wenn Corona Mosambik erreicht und ein ähnlichem Ausmaß annimmt, wie in vielen anderen Ländern ?
Ich konnte kaum weiter darüber nachdenken – doch das Kopfkino wollte und will nicht wirklich verschwinden.
Inzwischen sind die Fallzahlen in Mosambik gestiegen, aber zumindest bei LeMuSiCa auch die Sicherheitsmaßnahmen. Ich hatte dem Projekt ein Schnittmuster für das Nähen von Masken geschickt, das ich von Hemma, die auch jahrelang in Mosambik gelebt und gearbeitet hatte, bekommen habe.
Sie haben mir Fotos von dieser Aktion geschickt und es ist den Mädchen anzusehen, wie sehr sie bei der Sache waren – etwas tun können, für sich und andere ! Desinfektionsmittel, Seife, Handschuhe sind auch inzwischen vorhanden und die Frauengruppe aus dem Emsland hat 2.000,-- Euro gespendet, damit weiter entsprechendes Material angeschafft werden kann. Das ist immerhin ein Lichtblick.

Für mich persönlich bleibt die Besorgnis – unerreichbar nah sind mir alle: Magrete, die Kinder, die Frauen – derweil ich im Paradies sitze. Homeoffice in unserem Haus mitten in der Natur – ringsum Weite und die Schönheit des Frühlings, sicher und mit allem ausgestattet, was ich brauche. Doch dahinter liegen spürbar die Schatten und lassen mich zwischen Dankbarkeit und Traurigkeit schwanken.


30.04.2020 Judith Christner