LeMuSiCa Rundbriefe

22. LeMuSiCa - Rundbrief (April 2016)
Hier kommt nun der letzte LeMuSiCa Rundbrief aus meiner Feder und in deutsch – am 30. April verlasse ich Mosambik, um künftig in Deutschland zu leben und zu arbeiten.
 
Obgleich solche Momente große Gedanken und Gefühle nahe legen, will ich mich davon weitgehend fernhalten, denn was ich über all die Jahre in Mosambik und bei LeMuSiCa getan habe, ist hinreichend bekannt und ich bin überzeugt, dass das Projekt auch ohne mich seinen Weg weiter gehen wird.
Ich lasse eine kompetente Leitung und ein Team zurück, das neben Professionalität auch Einsatz und Engagement für die Zielgruppen zeigt , was gerade auch durch eine externe Evaluierung des PPM Projektes bestätigt wurde.
 
Und ich verlasse ein Land, das sich auf den Weg bzw. schon mitten im Krieg befindet, der jedoch weder offiziell erklärt wurde noch offiziell kommentiert wird. Täglich sterben Menschen – doch wir erfahren es meist nur über alternative Informationskanäle im Internet oder durch Berichte von Familienangehörigen der direkt Betroffenen. Es ist schwer, Menschen, denen ich mich verbunden fühle, in einer solchen Situation zurück lassen zu müssen – aber andererseits wäre ich auch nicht wirklich in der Lage, weiter in einem Land zu leben und zu arbeiten, ohne meine Meinung sagen und für sie eintreten zu können. Und somit würde ich mich eher als Belastung denn als Hilfe für das Projekt erweisen, da auch bekannt ist, dass ich nicht schweigen kann, angesichts von Ungerechtigkeit und Gewalt. Schon jetzt sorgen sich die Mitarbeiterinnen darum, dass ich es noch schaffe, wohlbehalten und geordnet das Land zu verlassen, denn, so heißt es – der Geheimdienst sei überall !
 
Zunehmend geht es auch in Richtung verstärkten Nationalismus bis hin zu Fundamentalismus und den Versuchen, die Zivilgesellschaft einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Auch LeMuSiCa wurde zum 7. April, dem Tag der mosambikanischen Frau von der Liste der Programmgestaltung gestrichen – zu provokativ, was wir bieten – die offizielle Begründung kam natürlich etwas verbrämter daher: Das Programm sei zu voll und außerdem, angesichts der Ereignisse in Maputo sei etwas Zurückhaltung sicher gut, gäbe es bei LeMuSiCa doch auch eine Ausländerin zu schützen !
 
Die Ereignisse in Maputo sind im folgenden in Ausschnitten aus einem Kommentar von Aderito Caldeira, erschienen am 31.03.2016 in verdade online, zusammengefaßt :

"Die Arbeit, die das Ministerium der Erziehung in den letzten Jahrzehnten geleistet hat, ist bemerkenswert: Es wurden passive Subjekte herangebildet, die nicht nur in  ihrer eigenne Sprache schlecht schreiben können , sondern auch nicht wissen, wie Gelder korrekt abgerechnet werden. Und es sind tausende von solchen "Doktoren", die der Partei Frelimo dienen. Es sind junge Leute, die nicht das Recht auf Demonstration kennen, das in der Verfassung von Mosambik verankert ist und die nicht verstehen, dass der Staat, der niemals wirklich demokratisch war, sich gerade von einem Polizei- in einen Militärstaat wandelt.

Am 18, März verhinderte die bewaffnete Polizei, teilweise mit brutalem Vorgehen, das Recht einiger Bürger_innen, sich friedlich zu versammeln, in der Nähe einer höheren Schule. Diese Gruppe wollte
auf die brutalen und masochistischen Praktiken der Gewalt gegen Mädchen aufmerksam machen, wie sie in vielen Schulen zum Alltag gehören. Weil sie der Meinung sind, dass diese Angelegenheit konstant ignoriert wird  wollten sie mit einer Aktion zum reflektieren auffordern, um ein für alle Mal dieses Zustand an den Schulen für die Mädchen zu beenden.
Mit der von der Regierung vorgeschlagenen Lösung des Problems – das Tragen von knöchellangen Röcken als Bestandteil der Schuluniform, um die Lehrer nicht zu reizen – waren die Frauengruppen in Mosambik jedoch nicht einverstanden und haben deshalb zu einer Aktion aufgerufen.
An der Aktion , die nicht wirklich stattfinden konnte, haben auch 2 Ausländerinnen teilgenommen, die gemeinsam mit 3 Mosambikanerinnen verhaftet und 7 Stunden in Gewahrsam genommen wurden.
Die Reaktionen kamen prompt - in einige Medien und von etlichen Bürger_innen geäußert: "Einfach die entsprechenden Ausländerinnen (die an der Aktion teilgenommen hatten) identifizieren und des Landes verweisen, um zu zeigen, dass wir ein souveräner Staat sind und es nicht zulassen, dass sich andere in unsere inneren Angelegenheiten einmischen.
Und gestern wurde prompt eine der ausländischen Teilenehmerinnen der Aktion, die Spanierin Eva Morena Anadon, illegal verhaftet  und mit Polizeigewalt zum Flughafen zur Abschiebung gebracht.
Die Verhaftung geschah ohne juristisches Mandat.
Auch das schnelle Eingreifen einer Anwältin und der Staatsanwaltschaft von Maputo konnte die Abschiebung nicht verhindern.. Ein Gespräch mit dem Polizeichef am Flughafen, der von höherer Weisung sprach, machte die Einschätzung seiner eigenen Machtposition deutlich, auch gegenüber der Staatsanwaltschaft der Hauptstadt von Mosambik, in dem er sagte: "Die Verfassung zählt in solchen Fällen nicht."

 
Bis zum Schluss der Veröffentlichung dieses Artikels gab es weder eine offizielle Verlautbarung der Generalstaatsanwaltschaft noch des Justizministeriums bezüglich des illegalen Vorgehens. Auch seitens der in Mosambik akkreditierten Diplomaten äußerte sich niemand zu dem illegalen Vorgang – weder Spanien noch Vertreter der Europäischen Gemeinschaft.

Angesichts all dessen schwören die von der mosambikanischen Erziehung geprägten "Subjekte", die Entscheidung der Exekutive sei korrekt und ignorieren weiter völlig, dass Lehrer Schülerinnen sexuell belästigen und vergewaltigen, völlig unabhängig von der Länge ihrer Röcke, selbst dann, wenn sie Hosen tragen.
 
Die zur Verteidigung der restriktiven Maßnahmen gegen die Mädchen auf den Plan gerufene "afrikanische Kultur" basiert auf der Fortschreibung der Ungleichheit zwischen Frauen und Männern. Zum Beispiel ist die Bigamie laut Gesetz eine Straftat in Mosambik, aber die Gesellschaft akzeptiert und rechtfertigt, dass ein Mann gleichzeitig mehrere Frauen haben kann. Heirat ist ab dem 18 Lebensjahr festgelegt, aber gleichzeitig erlaubt das Gesetz, dass eine Heirat auch unterhalb dieser Altersgrenze erfolgen kann, wenn die Eltern ihr Einverständnis erklären - eine Situation, die ständig praktiziert wird - zum Nachteil der Mädchen. Unsere Kultur ist auch Komplize der Jagd auf und dem Mord an Albinos, zum Nutzen von Zauber Ritualen.
In diesem Zusammenhang soll daran erinnert werden, dass wenn es nicht diese Art von feministischen Bewegungen gäbe, die zur Verteidigung der Rechte von Frauen und Mädchen antreten, würde das Strafgesetzbuch von Mosambik es bis heute erlauben, dass der sexuellen Vergewaltigung von Frauen damit Genüge getan ist, dass der Vergewaltiger das Opfer heiratet. Ein couragierter Marsch bis vors Parlament hat letztlich die Änderung des entsprechenden Paragrafen bzw. dessen Streichung bewirkt.
(vor einem Jahr, auch LeMuSica war beteiligt)
Die ganze Aktion ist eine weitere Warnung der Regierung von Nyusi, dass die Mosambikaner_innen Angst haben sollen, sich öffentlich zu äußern, wenn sie nicht mit seinen politischen Entscheidungen und den Prioritäten seiner Regierung einverstanden sind.

 
Möglicherweise ist die Abschiebung nicht völlig schlecht , vielleicht wurde Eva dadurch ein viel tragischeres Schicksal erspart - wie es Professor Gilles Cistac ereilt hat .
(Gilles Cistac, französisch -stämmiger Verfassungsrechtler mit mosambikanischer Staatsbürgerschaft wurde umgebracht, weil er sich im Zusammenhang mit den politisch-militärischen Konflikten zwischen Regierung und Oppostionspartei, die eine Dezentralisierung der Macht fordert, dahingehend geäussert hat, dass dies selbst im Rahmen der bestehenden Verfassung möglich sei) . Der Mord ist bis heute nicht aufgeklärt, ist jedoch eindeutig politisch motiviert, also von der staatstragenden Partei Frelimo zu verantworten. Eine unabhängige Justitz gibt es leider nicht in Mosambik. "

 
Es gab im Zusammenhang mit dem Erlass des Erziehungsministeriums, das Tragen knöchellanger Röcke als Schuluniform zu verordnen auch eine Pressemitteilung der Frauenbewegung, die LeMuSiCa ebenfalls unterschrieben hat.
Und da zeitgleich die feministische Frauengruppe der "Loucas" in Mosambik gewesen ist – auf Einladung von LeMuSiCa und 2 weiterer Frauengruppen aus Beira und Maputo, wurde das Thema auch in die gemeinsam erarbeitete Performance in Maputo eingebunden. In Chimoio, wo wir in einem 4 tägigen workshop eine spektakuläre Aktion für den 8. März gemeinsam vorbereitet hatten wurde uns zwar ein Teil unseres angemeldeten Marsches nicht genehmigt – doch es hat uns auch keiner daran gehindert, als größere Gruppe einen „Spaziergang“ durch die Stadt zu machen und uns auf unsere Weise für die Gleichberechtigung der Frau und gegen ihre Diskriminierung und Degradierung deutlich auszusprechen. (Fotos zur Aktion auf www.lemusica.org)
 
Dieser Aktion schloss sich dann die externe Evaluierung des PPM Projektes über eine Woche an, die zumindest das Team des Projektes von Brot für die Welt ganz in Beschlag genommen hat, uns aber auch die befriedigende Bestätigung eines erfolgreich geführten Projektes und wertvolle Anregungen für das Folgeprojekt gebracht hat.
Am ersten Wochenende im April haben wir es dann auch noch geschafft, den geplanten Teamworkshop in Vorbereitung meines Weggangs durchzuführen – der war bewusst provokativ und demzufolge sehr anstrengend, aber auch erfolgreich. Es ist gelungen, vieles von dem, was bisher unterschwellig rumorte auf den Tisch zu legen, offen darüber zu diskutieren und nach Lösungen und Regelungen zu suchen, die teilweise sofort umgesetzt wurden und teilweise nun in den folgenden Wochen und Monaten umgesetzt werden können.
Ich denke wir haben meinen Weggang gut vorbereitet und das auch nicht erst in den letzten Wochen , sondern Stück für Stück schon seit vielen Monaten.
 
Was bleibt sind die Probleme, die Frauen und Mädchen immer noch und immer wieder haben werden – sei es im Zusammenhang mit häuslicher und sexueller Gewalt, sei es im Zusammenhang mit Aids – weil sie selbst zum Teil nicht bereit sind, die Opferrolle hinter sich zu lassen. Statt dessen hören wir immer wieder Sätze wie: „Ganz egal, auch wenn er mich weiter schlägt und vergewaltigt, ich will nicht, dass er ins Gefängnis muss.“ Doch ob es uns gefällt oder nicht – wir halten die Tür offen, wir sind gesprächsbereit, wir hören zu – und wir versuchen natürlich weiterhin Überzeugungsarbeit dahingehend zu leisten, dass sich die Dinge irgendwann doch einmal ändern. Und viele kleine Schritte sind viele Frauen auch schon gegangen und gehen mit gutem Beispiel voran – das ist vor allem in den Gemeinden zu sehen, wo unsere Multiplikatorinnen tätig sind, die zum einen bei sich selbst und in ihren Familien positive Veränderungen und Entwicklungen bezüglich ihrer Position als Frau benennen, als auch dazu beitragen, dass sich dieses „Modell“ in weiteren Familien der Gemeinde durchsetzt.
 
Ich wünsche LeMuSiCa weiterhin Kraft und Erfolg , dem Land möglichst bald einen dauerhaften Frieden und hoffe, die ParterInnen bleiben dem Projekt treu.
Auch ich werde dem Projekt verbunden bleiben – dank Skype und Internet ist das alles möglich !
 
Judith Christner, langjährige assessora von LeMuSiCa.